|
|
#1
26.10.2007, 06:38
|
||||
|
||||
75 Jahre Autoradio
Heute in der Berner Zeitung gelesen, ein intressanter
Bericht zum Thema Autoradio: Gruss Sprint-Veloce Als die Klänge rollen lernten Das erste europäische Autoradio vor 75 Jahren war schwer, zerbrechlich – und umstritten: Musik könnte die Autofahrer zu fest ablenken. Die Europäer haben die Entwicklung zunächst verschlafen. Während in den USA längst Autoradios vom Band liefen, fuhr man hier zu Lande noch ohne musikalische Begleitung – sehr zum Leidwesen der Verfechter des technischen Fortschritts. «In Deutschland kann man geradezu von einer Radionacht sprechen», schrieb die Zeitschrift «Motor» im Jahre 1924 – zu einer Zeit, als in Amerika bereits Empfänger für PKW produziert wurden. Das europäische Debüt erlebte das Autoradio erst acht Jahre später auf der Funkausstellung in Berlin. Der Blaupunkt AS 5 war ein wuchtiger Mittel- und Langwellenempfänger und kostete 465 Mark – ein Drittel des Preises eines Kleinwagens. Damit bei Schlaglöchern die empfindlichen Glasröhrchen nicht zu Bruch gingen, war das Innere mit Gummifedern aufgehängt. Das Autoradio wurde als Sensation verkauft: In einem Blaupunkt-Prospekt von 1938 schilderte Joachim Senckpiehl seine Erlebnisse mit einem tönenden Autoradio auf einem Dorfplatz: «Zuerst kamen einige neugierige Kinder, sahen unter den Wagen und wollten die Antenne sehen, dann schauten die Bauern aus den Fenstern. Misstrauisch musterten sie mich. Aber dann legte sich die Scheu, einige Burschen und Mädels in ihrer entzückenden Tracht kamen an den Wagen, und plötzlich war ich von der Dorfjugend umringt. Bald waren alle Logenplätze im Wagen besetzt, jeder wollte einmal am Empfänger drehen, und als dann noch irgendein Sender Bauerntänze brachte, gab es kein Halten mehr. Es wurde getanzt wie bei einer zünftigen Kirchweih.» Fotos im Prospekt zeigen den von kernigen Mädchen umringten Wagen – Anmache im Stil der 1930er-Jahre. «Das Autoradio lenkt ab» Als Blaupunkt 1932 das erste Autoradio Europas vorstellte, führte dies zu hitzigen Debatten. Kritiker befürchteten mehr Verkehrsunfälle, da die Fahrer beim Musikhören ins Träumen geraten könnten. Dem hielt die Zeitschrift «Motor und Sport» 1939 entgegen: «Auf langen Fahrten stellt die Unterhaltung durch musikalische Darbietungen einen wesentlichen Beitrag zur geistigen Spannkraft des Fahrers dar.» Und: «Es kann einem ohne Radio passieren, dass man am Abend an seinem Tagesziel ankommt und überhaupt nicht weiss, dass sich im Laufe des Tages die wichtigsten politischen Ereignisse abgespielt haben.» Eine Feststellung, die 1939 von Brisanz war. Der Inhaber des Berliner Radiohauses Müller machte in der Werbung keinen Hehl aus seiner Gesinnung: «Jedes Auto ist vollendet, wenn der schönste Punkt im Wagen ein Blaupunkt ist! Heil Hitler! Radio Müller!» Ende der 1930er-Jahre gab es weitere deutsche Firmen, die in kleinen Stückzahlen Empfänger für Autos herstellten, darunter Telefunken, Körting, Lorenz, Philips und Mende. Nach dem Krieg erschien mit der Firma Becker ein weiterer Konkurrent. In der Silvesternacht 1948/49 hob Firmengründer Max Egon Becker in einer kleinen Werkstatt sein erstes Gerät aus der Taufe. Becker testete es im Firmenwagen, zusammengeschustert aus Teilen vom Autofriedhof: amerikanisches Chassis, Opel-Motor und Holzgasanlage. Zur Jungfernfahrt musste ein Holzzaun dranglauben. «Wir verlassen die Stadt mit ihrem gewaltigen Störnebel, immer klarer wird der Empfang, ganz hervorragend der Ton. Man glaubt sich daheim an das Zimmergerät versetzt und möchte träumen, nichts als träumen », berichtete ein Reporter des «Pforzheimer Boten». Im Dezember 1949 begann die Serienfertigung des «klingenden Nachkriegswunders». Die nach Rennstrecken wie Monza, Nürburg und Monaco benannten Geräte setzten Massstäbe. Becker lieferte sich in den nächsten Jahren ein innovatives Kopf-an-Kopf-Rennen mit Blaupunkt. 1952 hatte letztere mit dem A 520 KU, dem ersten UKW-Autoradio, die Nase vorn. Ein Jahr später landete Becker mit «Mexiko», dem ersten UKW-Radio mit automatischem Sendersuchlauf, wieder einen Verkaufsschlager. Ein Radio mit Plattenspieler Ihren Durchbruch erlebten die Radios mit der Massenmotorisierung. Blaupunkt verkaufte 1959 das millionste Gerät. Der Jubilar bestand aus 1693 Einzelteilen. Damals kamen auch kuriose Empfänger auf den Markt. Das Blaupunkt «Westerland» aus dem Jahre 1958 war ein Vorläufer der «Quick-out»-Radios: Der herausziehbare Apparat sollte jedoch nicht vor Diebstahl schützen, sondern konnte mit Batterien als «Strandradio» genutzt werden. Und Philips lancierte mit «Auto-Mignon» einen automobilen Schallplattenspieler. Durch die Entwicklung von Transistoren, welche die Röhren ablösten, wurden die Radios leistungsfähiger und kleiner. «Frankfurt» von Blaupunkt war 1963 das erste volltransistorisierte UKW-Autoradio der Welt; 1967 stellte die Firma das erste Stereoautoradio vor. Becker produzierte 1979 erstmals ein mikroprozessgesteuertes Radio. Die Individualität und der Charme der frühen Geräte gingen allmählich verloren. In die kompakten Radios wurden ab Ende der 60er-Jahre Kassettenspieler, ab 1985 CD-Player integriert. Aus der mobilen Gesellschaft ist das Autoradio nicht wegzudenken. Es ist zum «Partner in der modernen Einsamkeit der befahrenen Strassen» geworden, wie es in einer Festschrift der Firma Becker hiess.
__________________
Mitglied der Squadra Sportiva Classica Giulietta Sprint Veloce `62, GTV 1750 `68, Fiat 128 Coupé `72 
|
Linear-Darstellung
